Übers Übersetzen von Phantastik: Bernd Perplies und Lucy Van Cleef im Gespräch

Der deutsche Autor Bernd Perplies und die amerikanische Übersetzerin Lucy Van Cleef im Gespräch über „Der Drachenjäger“, den Übersetzungsprozess und die Möglichkeiten, innerhalb von Fantasy-Welten auch über den Tellerrand der Phantastik zu schauen.

Bernd: „Der Drachenjäger“ war dein Debüt als Übersetzerin. Wie war die Erfahrung für dich? Musstest du besondere Herausforderungen bewältigen?

Lucy: Ich stamme aus einer Welt außerhalb der Phantastik. Früher war ich professionelle Balletttänzerin, mittlerweile arbeite ich vor allem als Kunstjournalistin. Ob du es glaubst oder nicht, die Welten der Fantasy und des Kunstjournalismus sind sich erstaunlich ähnlich. In beiden muss man die richtigen Worte finden, um das nicht Greifbare zu beschreiben – Dinge, die in der realen Welt nicht existieren. Dein Stil hatte für mich die Unmittelbarkeit und Intensität einer Live Perfomance: der Sidhari, der die Schurkenbande stellt; Lian und Canzo auf der Taijirin-Hochzeit; zum Grund des Wolkenmeers zu stürzen – das waren meine Lieblingsmomente.

Ich lebe in Berlin und spreche im Alltag überwiegend Deutsch, aber ich schreibe auf Englisch: meine eigenen Geschichten, die Artikel über Kunst und im Rahmen meiner Übersetzungsarbeit. Dieses Projekt bot mir die Chance, beide Welten zu vereinen. Der schiere Umfang des Projekts war eine Herausforderung für mich, aber ich habe auch unglaublich viel dabei gelernt. Manchmal kann man einen Gedanken auf Englisch mit viel weniger Worten vermitteln als im Deutschen. Dann muss man sich auf die Suche nach genau den richtigen Worten begeben. Die Übersetzung hat mich ziemlich viel Zeit gekostet, und es war nicht ganz einfach, während des gesamten Prozesses im Stil konsistent zu bleiben. Man wird im Laufe der Zeit einfach besser und am Ende wünscht man sich, man hätte die erworbenen Fähigkeiten bereits am Anfang gehabt. Aber so ist es nun mal. Ich hoffe, dass ich auch in Zukunft weiter übersetzen kann.

Lucy: Neben deinem Romaneschreiben bist du auch als Übersetzer aus dem Englischen ins Deutsche tätig. Haben deine „Star Trek“-Übersetzungen dein Schreiben beeinflusst? Gibt es konkrete Verweise oder wurde deine fiktionale Welt in „Der Drachenjäger“ irgendwie allgemein davon inspiriert?

Bernd: Ich bin schon seit vielen Jahren ein „Star Trek“-Fan. Der optimistische Grundton dieser Zukunftsvision, die Geschichten, die zum Nachdenken anregen, und die Kameradschaft innerhalb der Mannschaft der Enterprise – und ihrer Nachfolger – haben mich immer stark angesprochen. 2005 endete „Star Trek“ im Fernsehen (neuere Serieninkarnationen wie „Star Trek Discovery“ mal außer Acht gelassen). Danach haben die Romane das Franchise für mich am Leben gehalten. Die Arbeit an den Übersetzungen für Cross Cult hat verhindert, dass ich „Star Trek“ aus den Augen verliere. Und es gibt sicher Aspekte dort, die sich auf mein Schreiben ausgewirkt haben.

Beispielsweise erzähle ich gern von Figurenensembles, die zusammen unterwegs sind. Mich interessiert die Interaktion zwischen unterschiedlichen Charakteren. In „Der Drachenjäger“ ist das die Mannschaft des Drachenjäger-Schiffs Carryola. Genau wie „Star Trek“-Autoren hinterfrage ich auch gern Dinge und möchte Leser zum Nachdenken anregen. In der klassischen Fantasy sind Drachen in der Regel die Ungeheuer, Drachentöter sind die Helden. „Der Drachenjäger“ zeichnet ein ambivalenteres Bild. Sind nicht letztlich die Drachenjäger auch Ungeheuer? Und sind die Drachen, bei aller Zerstörungskraft, nicht auch Opfer? Ich habe sogar ein gewisses Verständnis für Adaron und Garganthuan. Beide sind extreme Charaktere – aber der eine kämpft, weil er von Leid zerfressen ist, der andere, weil er seine Art beschützen will.

Ein echtes Cross-Over gibt es nicht. Aber trotzdem haben „Star Trek“ und „Der Drachenjäger“ etwas gemeinsam. Beide kritisieren mehr oder weniger offen den irdischen Walfang. Der Kinofilm „Star Trek IV – Zurück in die Gegenwart“ erzählt davon, wie Captain Kirk ins Jahr 1986 reisen muss, um dort Buckelwale zu finden, die in der Zukunft ausgerottet worden sind, aber im Jahr 2286 die einzige Rettung für die Menschheit vor einer außerirdischen Sonde darstellen. „Der Drachenjäger“ wiederum stellt die Frage, ob die Jagd auf diese majestätischen Geschöpfe des (Wolken)Meers gerechtfertigt ist und, wenn ja, bis zu welchem Punkt?

Bernd: Das Deutsche kennt mehrere Formen der Anrede: „Du“ (vertraulich bzw. abwertend), „Sie“ (höflich bzw. distanziert), „Ihr“ (pseudomittelalterlich). Im Englischen gibt es das nicht. Nun ist es in „Der Drachenjäger“ typisch für die Region des Wolkenmeers, dass man immer „Ihr“ sagt (auch wenn man abwertend spricht). Es gibt nur eine Ausnahme: wenn man Familienmitglieder und/oder Geliebte anredet. In einer Szene im Roman wechseln ein Mann und eine Frau plötzlich vom „Ihr“ zum „Du“ und sagen damit etwas „zwischen den Zeilen“. Wie bist du in der Übersetzung damit umgegangen?

Lucy: Das war etwas knifflig. Tatsächlich gibt es im Englischen nur das Wort „you“. Aber es existieren trotzdem Möglichkeiten, zu verdeutlichen, wie formell ein Gespräch ist. Man würde einen Geschäftspartner nie auf die gleiche Weise ansprechen wie Familienangehörige. Ein Beispiel: Ialrist nennt Adaron immer beim Vornamen, während die anderen Besatzungsmitglieder ihn „Captain“ nennen. Ihre Freundschaft wurde in den ersten beiden Kapiteln etabliert und zieht sich auch durch den weiteren Handlungsverlauf.

Ich hatte großes Glück, während des Übersetzungsprozesses nicht allein dazustehen. Tor hat mich vom Anfang bis zum Ende unterstützt. Meine großartige Redakteurin dort hat mir immer wieder geholfen, gute Lösungen für problematische Szenen zu finden. Da es kein Wort gibt, um den Wechsel des Tonfalls zwischen dem Mann und der Frau in der von dir genannten Szene zu beschreiben, haben wir das Gespräch für den amerikanischen Markt ein wenig verändert. Ich hoffe, dass meine Version dem Ursprungstext würdig ist und für die Leser einen Sinn ergibt.

Lucy: Wie sieht es mit deinen Erfahrungen beim Übersetzen vom Englischen ins Deutsche aus? Gab es Fälle, wo du den Text schlichtweg nicht eins-zu-eins übertragen konntest?

Bernd: Das kommt immer wieder vor. Wortspiele sind naturgemäß ein Problem. Manche Autoren lieben sie mehr, manche weniger. In „Star Trek“ findet man sie häufiger, weil in vielen Raumschiffbesatzungen Männer und Frauen zu finden sind, die einen lockeren Umgangston pflegen. Manchmal funktioniert das Wortspiel tatsächlich auch im Deutschen. Meist muss man jedoch auf eine Lösung ausweichen, die immerhin sinngemäß noch stimmt. Dann steht an der Stelle ein humorvoller Spruch, der aber nicht wortwörtlich mit dem in der englischen Ausgabe übereinstimmt.

Ganz schwer sind auch gereimte Texte. So etwas kommt in „Star Trek“ zum Glück selten vor, aber ich habe vor vielen Jahren, ganz zu Beginn meiner Tätigkeit als Übersetzer, mal ein „Zauberbuch“ übersetzt, das Beschwörungen für den Alltag geboten hat. Das war so etwas Lustiges für junge Mädchen, nicht ganz ernst zu nehmen. Aber in diesen Wochen musste ich wirklich sehr kreativ werden, um „Zaubersprüche“ zu erfinden, die sich im Deutschen reimten und trotzdem den englischen Inhalt transportierten.

Lucy: Oh, ja! Damit habe ich auch meine Erfahrungen gemacht. Ich war so dankbar dafür, dass die Visionen, die Lian gegen Ende von „Der Drachenjäger“ hat, nicht in Reimform präsentiert wurden.

Bernd: Der Verlag und du habt entschieden, in der Übersetzung einige Begriffe auf Deutsch zu belassen, etwa „Drachenjäger“. Warum? Und gibt es das häufiger in US-Übersetzungen ausländischer Romane?

Lucy: Wir haben darüber nachgedacht, den Ursprungstitel „Der Drachenjäger“ für die englische Version beizubehalten. Es ist einfach ein cool klingendes Wort. „Drachen“ ist nah genug an „dragons“, um verstanden zu werden, und das Wort „Jäger“ ist ohnehin vielen Englischsprechenden bekannt. Auch wenn wir letztlich einen anderen Titel gewählt haben, sind wir bei den „Drachen“ geblieben, wenn wir von den Geschöpfen dieser Welt sprechen, und wir verwendeten „Drachenjäger“ als Bezeichnung für die vereinzelten Seelen, die tapfer genug sind, sich den Drachen zu stellen. Am Ende haben wir dem Buch ein Glossar nachgestellt, um diese Begriffe den Lesern zu erklären. So war es uns möglich, ein wenig deutsches Flair in die fiktionale Welt des Wolkenmeers zu bringen.

Lucy: Mit wem identifizierst du dich eher: Lian oder Adaron?

Bernd: Auf jeden Fall Lian! Ich empfinde Mitleid mit Adaron, denn er hat fast all seine Freunde und seine Geliebte verloren. Diese Erfahrung hat ihn auf einen dunklen Pfad geführt, von dem er nie zurückgefunden hat. Auf seine Seele hat sich ein Schatten gelegt, und nur die Freundschaft zu Ialrist, dem letzten Überlebenden seiner Freunde von früher, hält ihn halbwegs bei Verstand. So rachsüchtig, so verbittert wie er könnte ich, glaube ich, nie sein.

Lian dagegen ist ein Träumer und zu Beginn sicher etwas naiv. Er sieht in der Drachenjagd und den Reisen ins Wolkenmeer nur ein großes Abenteuer. Diese „romantische“ Seite hatte ich in meiner Jugend definitiv auch. Die Erfahrungen während der Reise mit der Carryola lassen ihn wachsen. Er wird kritischer und hinterfragt, was er da eigentlich tut. Und schließlich steht er für das ein, was er für richtig hält, statt einfach weiterzumachen wie die (meisten) anderen an Bord. Auch darin sind wir uns ähnlich.

Bernd: Es ist in Deutschland sehr üblich, ausländische (vor allem angloamerikanische) Belletristik übersetzt in den Handel zu bringen. Wie sieht es in den USA aus? Sind übersetzte Werke dort auch so häufig?

Lucy: Ich bin keine Buchmarktexpertin, aber ich bin eine leidenschaftliche Leserin. Gute Übersetzungen erlauben es Menschen aus einem Land oder einer Kultur sich mit einem anderen Land oder einer anderen Kultur zu beschäftigen, ohne dafür eine neue Sprache lernen zu müssen. Sie müssen nicht mal ihre Wohnung verlassen. Als ich in Amerika aufgewachsen bin, habe ich sowohl Bücher englischsprachiger als auch internationaler Autoren gelesen. Ich würde sagen, dass Übersetzungen durchaus häufig vorkommen und dass sie obendrein notwendig sind. Ich halte sie für wirklich wichtig, damit wir von Leuten lernen können, die in einem anderen Erfahrungsumfeld als wir leben. Aus diesem Grund hoffe ich, dass der amerikanische Buchmarkt nie aufhören wird, Werke ausländischer Autoren zu veröffentlichen.

Lucy: Wie geht es nach deiner Reise ins Wolkenmeer weiter? Hast du irgendwelche schicken Projekte geplant?

Bernd: Über (in Deutschland) zukünftige Projekte kann ich gegenwärtig leider gar nichts sagen, weil sie alle noch im Entstehen begriffen sind und nicht offiziell angekündigt wurden. Ich kann aber einen kleinen Rückblick über das geben, was seit 2017 passiert ist, dem Jahr, als „Der Drachenjäger“ in Deutschland erschienen ist.

Zunächst einmal habe ich eine zweite Reise ins Wolkenmeer unternommen. „Der Weltenfinder“ erzählt die Geschichte des Gelehrten und Abenteurers Corren von Dask, der zum Grund des Wolkenmeers vorstoßen will, um dort nach der mythischen Stadt ThaunasRa zu suchen, die der Ursprung des Wolkenmeers sein soll. Die Handlung ist eigenständig, bezieht aber Geschehnisse (und Figuren) des Vorgängerromans ein.

In den Weltraum bin ich mit „Frontiersmen – Civil War“ gestartet, einer sechsteiligen Mini-Serie, in deren Zentrum der Schurke John Donovan steht, der mit seiner bunt zusammengewürfelten Crew und einem heruntergekommenen Frachter in den Bürgerkrieg zwischen den Randplaneten und den Kernwelten seiner Heimatgalaxis gerät. „Frontiersmen“ ist meine Version eines Space-Western-Settings, wie man es etwa in der TV-Serie „Firefly“ oder den Tatooine-Sequenzen von „Star Wars“ erleben konnte. Hier trifft das Erdige und Menschliche klassischer Western-Abenteuer auf die Technik der Zukunft.

Mein jüngstes Werk, das Ende Oktober erschienen ist, trägt den Titel „Am Abgrund der Unendlichkeit“ und ist erneut ein Science-Fiction-Roman. Eine mysteriöse Finsternis verschlingt ganze Sternensysteme, die zum galaktischen Völkerbund des Domenaions gehören. Und während dort das Chaos ausbricht, versucht die mutige Besatzung eines Raumrettungskreuzers verzweifelt, eine Lösung für die Krise zu finden, bevor es zu Milliarden von Toten kommt.

Ich muss allerdings einschränkend hinzufügen, dass keines dieser Werke bislang ins Englische übersetzt wurde. Wer jedoch über solide Deutschkenntnisse verfügt, den lade ich herzlich ein, meine phantastischen Welten auch über „Black Leviathan“ hinaus kennenzulernen.

Dieser Text wurde ursprünglich für Tor Books (www.tor.com) verfasst, wo „Der Drachenjäger“ im Februar unter dem Titel „Black Leviathan“ erscheinen wird. Das Gespräch wurde – passend zum Thema „Übersetzung“ – zweisprachig geführt, wobei Bernd jeweils Lucys Textpassagen übersetzt hat und Lucy Bernds.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf TOR Online.