Building a World – oder: Wie alles zusammenwächst

Worldbuilding. Das ist ein verdammt großes Wort. In der Phantastik geht es immer wieder darum. Kommt das Worldbuilding vor dem Plot oder danach? Ist die Welt stimmig, detailreich, lebendig, voll historischer Tiefe (gut) oder erfährt man eigentlich nichts über sie (schlecht)? Überzeugendes Worldbuilding ist ein Qualitätsmerkmal ebenso wie eine Herausforderung – und gern brüsten sich Autoren damit, wie viel Zeit sie in die Erschaffung ihrer Welt investiert haben.

Aber mal von Tolkien abgesehen, der vermutlich noch den Stammbaum des letzten Hobbit-Bauern auf dem Feld um die Ecke in irgendeiner Schublade hatte, sind die meisten von uns doch eher faule – oder sagen wir: pragmatische – Naturen. Die Welt eines Romans ist genau so groß, wie sie sein muss. Schreiben wir einen Roman über eine Stadt haben wir oft keine Ahnung, wie die Stadt hundert Kilometer weiter heißt. Oder die in dem uns völlig unbekannten Reich tausend Kilometer südlich. Oder die auf dem Kontinent viertausend Kilometer entfernt. Gibt's da überhaupt einen Kontinent? Und wie groß ist die ganze Welt überhaupt? Welcher Fantasy-Autor denkt über Dinge wie Äquatorumfang, Masse, Neigungsachse, Zusammensetzung der Atmosphäre und Entfernung zu einer möglichen Sonne (ganz zu schweigen von deren Farbe) nach? Seien wir ehrlich: In den meisten Fällen betreiben wir für einen Roman Small-Part-of-a-Possible-World-Building. Alles andere wäre ja auch unökonomisch.

ABER! Welten können wachsen. Und einzelne Teile können zu einem größeren Ganzen werden. War Mittelerde in „Der kleine Hobbit“ noch ein eher überschaubarer Landstrich, wurde es für „Der Herr der Ringe“ zu einer Welt von geradezu europäischen Ausmaßen. Eine jüngst aufgefundene Karte mit Anmerkungen von Tolkien selbst zeigt beispielsweise, dass Hobbingen etwa auf dem Breitengrad von Oxford liegen sollte, Minas Tirith derweil in der Nähe von Belgrad anzusiedeln sei und die Piraten von Umbar in der Ecke von Zypern leben. (https://www.tolkiengesellschaft.de/17109/die-wohl-praeziseste-karte-mittelerdes/) Beliebt ist das auch in Rollenspielproduktionen. Man fängt mit einem Landstrich an. Der wird dann zu einer Gruppe von Reichen erweitert, vielleicht zu einem Kontinent. Ist dieser erforscht, findet sich auf einmal ein zweiter Kontinent oder eine Hohlwelt oder eine Dimensionstasche. Anders als bei Videospielen muss die Welt anfangs noch nicht fertig sein. Autoren und Leser/Spieler entdecken sie gemeinsam. (Okay, auch bei Videospielen ist mit Erweiterungen noch was machbar, wobei diese meist eher kleine Regionen hinzufügen, alles andere wäre zu aufwändig.)

Um zu dem Punkt zu kommen, auf den ich eigentlich hinauswill: Auch bei mir verhielt es sich so. Meine Welt Endar war zu Beginn noch sehr klein und entwickelte sich über zehn Jahre bis zu der Größe, die sie heute hat. Am Anfang stand mein Debütroman „Tarean – Sohn des Fluchbringers“. Für ihn wurden ein paar grundlegende Regeln festgelegt. Etwa, dass es nur einen Mond gibt, dass ein Mondlauf 28 Tage dauert und ein Jahr zwölf Mondläufe hat, also 336 Tage. Außerdem, aber das war eher eine unbewusste Entscheidung, wurde die Länge eines Tages auf 24 Stunden festgelegt. (Wenn man über so etwas nicht aktiv zu Beginn eines Projekts nachdenkt, verfällt man automatisch in Erdenstandards.) Die Weltkarte maß damals 500 auf 500 Meilen, wobei eine Meile hier tausend Schritt, also ungefähr tausend Metern entspricht. Ganz im Norden befand sich eine verschneite Einöde, am Südrand sollte es schon kräftig warm sein – völlig unrealistisch, wenn man bedenkt, dass die Strecke etwa der von Hamburg bis Stuttgart (Luftlinie) entspricht, aber so Anfängerfehler macht man eben manchmal. Im Wesentlichen war das Landschaftsbild allerdings nordeuropäisch geprägt: viele Wälder, Berge und Wiesenlandschaften. Tolkinesk möchte man sagen.


© Anke Mundt

Mit dem Nachfolgeband „Tarean – Erbe der Kristalldrachen“ wurde die Welt doppelt so groß, denn um meine Reisegruppe auf neuen Wege wandeln zu lassen, setzte ich unten eine zweite Karte dran, die die Welt auf knappe 500 x 1000 Meilen vergrößerte (also von Hamburg bis etwa Genua). Landschaftlich änderte sich kaum etwas (ich hatte mittlerweile dazugelernt), sah man davon ab, dass es ganz im Süden eine Gebiet mit extremem Vulkanismus – die Glutlande – gab. Damit war Endar – für die „Tarean“-Trilogie – fertig entwickelt.


© Anke Mundt

Nach zwei Trilogien, die auf der Erde angesiedelt waren, kehrte ich für „Imperium der Drachen“ fünf Jahre später nach Endar zurück. Allerdings verschleierte ich diesen Umstand recht geschickt. Die Romane der Saga spielen tausend Jahre vor „Tarean“, in einem römisch-griechisch angehauchten High-Fantasy-Setting. Die Wesen damals nannten die Welt noch Yeos und der Handlungsraum wurde von mir noch südlich der Glutlande angesiedelt, um den so genannten „Inneren Ozean“ herum. Ein Schelm, wer dabei nicht ans Mittelmeer denkt. Tatsächlich war ich für diese Weltkarte erstmals so klug, mich mithilfe von Google Maps an der irdischen Geografie zu orientieren, um leidlich realistische Entfernungen und Landesgrößen hinzubekommen – so wie Tolkien es schon 60 Jahre vor mir getan hatte. So entstand eine neue Welt von 2000 x 1400 Meilen, die in vielerlei Hinsicht an die Region und Reiche rund ums antike Mittelmeer erinnerte – von Süditalien bis Ägypten. Leider zeichnete der Illustrator, der meine Arbeitskarte für „Das Blut des Schwarzen Löwen“ umsetzen sollte, aufgrund eines Kommunikationsfehlers die Karte so detailgetreu ab, dass man sehr deutlich gewisse irdische Inseln und Küstenlinien, wenn auch oft gespiegelt, im Roman wiedererkennen kann.


© Markus Weber, Agentur Guter Punkt

Was in „Imperium der Drachen“ noch ein Insider-Gag gewesen war (He, das ist doch die gleiche Welt wie von „Tarean“!), wurde mit den „Wolkenmeer“-Romanen zum Programm. Ich entschied, Yeos/Endar zu einem großen Ganzen zu verschmelzen. Und so setzte ich erneut ein Kartenstück im Süden an, unterhalb der Wüste Shaom, die bei „Imperium der Drachen“ noch die unwirtliche Grenze am unteren Kartenende dargestellt hatte. (Scheinbar unüberwindbare Gebirge, Meere und Wüsten werden von Weltenbauern gern verwendet, um am Rand einer Karte anzudeuten, dass es jenseits der Kartengrenzen für die Abenteurer nicht weitergeht.) Südlich der Wüste schlossen sich nun dampfende Dschungel an, danach begann das Wolkenmeer. Einmal mehr wurden 1600 Meilen Welt in der Länge und immerhin 400 Meilen in der Breite hinzugefügt – die allerdings, dem Frontier-Charakter des Settings entsprechend, aus sehr viel unbewohnter Wildnis bestanden.


© Bernd Perplies

Über alle sieben Romane und im Laufe von zehn Jahren ist meine Welt also von 500 x 500 Meilen auf 4200 x 2400 Meilen angewachsen. Auf der Erde wäre das ein Gebiet von Hamburg bis zum südlichsten Zipfel von Niger in der „Senkrechten“ und von Madrid bis Athen in der „Waagerechten“. Yeos/Endar wurde landschaftlich ausgefeilt, neue Reichen und Völker kamen hinzu, eine Geschichte, die sich (lückenhaft, aber immerhin) über bald tausend Jahre erstreckt, wurde entwickelt. Und das alles ist noch längst nicht das Ende. Im Osten gäbe es noch einiges an Wildnis zu entdecken. Und befindet sich im Westen jenseits des Ozeans vielleicht noch mehr Land? Die nächsten Jahre werden es zeigen, denn ich bin mir sicher, dass ich immer mal wieder in „meine Welt“ zurückkehren werde, um in neuen Abenteuern weiteres Worldbuilding zu betreiben.

Fun fact: In meinem neusten Roman „Der Weltenfinder“ – nomen est omen – verschmelzen alle „Weltkarten“ der vergangenen Jahre ganz konkret in der Hauptfigur Corren von Dask. Der abenteuerlustige Gelehrte stammt ursprünglich aus Breganorien hoch oben im Norden, arbeitet an der Akademie der Stadt Geolath am Ufer des Inneren Ozeans und er reist im Verlauf der Handlung hinunter ins Wolkenmeer, um das Geheimnis der mythischen Stadt ThaunasRa zu ergründen. In ihm findet meine Welt sozusagen zusammen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf TOR Online.